Herzensweg Fotografin:
"Jeder trägt Schönheit in sich"

Ein Interview mit Fotografin Grit Siwonia.

Foto: Katja Mathes

Zum Interviewtermin mit Grit Siwonia treffe ich sie mit zwei ihrer liebsten Models und Begleiter an: Sunny und Rijko, den zwei Katern aus dem bulgarischen Tierschutzverein. Noch lieber als die beiden niedlichen Fellknäuel fotografiert sie aber Menschen, die nicht gern vor der Kamera stehen, sich vielleicht sogar unwohl fühlen oder für unfotogen halten. Durch welches persönliche Erlebnis sie dazu kam, was sie für ihren Beruf als Fotografin aufgeben musste und was sie stattdessen gewann, das erzählt sie in diesem Interview.

 

Seit wann fotografierst du schon?
Seit 2003, also schon richtig lange. Das ist tatsächlich das Hobby, das mich am längsten in meinem Leben begleitet. Es gibt interessanterweise nichts, was ich so lange gemacht habe, wie fotografieren.

Wie bist du dazu gekommen?
Dazu gekommen bin ich, weil ich fotografiert wurde und mich dabei sehr unwohl gefühlt habe. Ich hatte ein Shooting für mich gebucht, weil ich damals nicht wirklich glücklich mit mir war, und dachte, das Shooting könne möglicherweise etwas verändern. Ich bekam ein Styling und sollte
Sachen anziehen, die ich normalerweise nicht trage. Dann hab ich in den Spiegel geguckt und interessanterweise war meine erste Reaktion nicht: ich freue mich darüber, wie ich aussehe, sondern ich fing fast an zu weinen, weil ich gar nichts mehr von dem erkannt habe, was mich
damals ausgemacht hat. Ich bin dankbar für diese Erfahrung, weil sie mir Welten eröffnet hat. Damals habe ich noch gar nicht geahnt, dass das letzten Endes zum Glück werden würde. Ich glaube, viele Erfahrungen, die man für sich als negativ bewertet hat, können gewandelt werden,
Gerade solche Erlebnisse kann man dazu nutzen, etwas Schönes daraus zu machen.

Wie hast du dir diese Erfahrung zunutze gemacht?
Ich habe gedacht: das muss doch auch anders gehen. Mein Ansatz war nach dieser Erfahrung, dass man Leuten mit Fotografie helfen kann. Es gibt so viele Menschen, die sich vor der Kamera unwohl fühlen und das sind meine liebsten Kunden – weil ich nachvollziehen kann, wie sie sich fühlen. Ich weiß, wie das ist, vor der Kamera zu stehen und sich in der eigenen Haut blöd und unwohl zu fühlen. Und wenn du dann ein Gegenüber hast, welches das nachvollziehen kann, ist das für denjenigen vor der Kamera gleich ein bisschen einfacher, sich fallen zu lassen und zu
öffnen. Der Großteil meiner Kunden meint von sich selbst, unfotogen zu sein – was am Ende nie stimmt. Jeder trägt Schönheit in sich.

Ich bin also quasi deine klassische Kundin, ich denke das auch von mir. 🙂
Ja, genau, und das macht total Spaß! Weil ich es in dem Moment, glaube ich, ganz gut schaffe, den Menschen den Raum dafür zu geben, dass sie einfach so sein können, wie sie gerade sind und nicht abgewiesen werden auf Grund von vermeintlichen Makeln. Viele haben mich nach dem
Shooting als Fototherapeutin bezeichnet, ohne dass ich jetzt eine Therapeutin im klassisch ausgebildeten Sinne bin. Aber das kann schon was mit den Menschen machen, wenn man ein Gegenüber hat, was einen mit Liebe betrachtet. Menschen kommen und sagen: ich habe ein
Doppelkinn oder Schlupflider, Pickel, Herpes. Und ich sage: na und? Wir haben alle irgendwas, womit wir unzufrieden sind. Dafür haben wir auch alle ganz viele schöne Seiten.

Foto: Fotostudio Charlottenburg

Wann wurde dir klar, dass du tiefer in die Fotografie einsteigen und mehr draus machen möchtest? Oder war dir das von Anfang an klar?
Nee, ich hatte einen vermeintlich sicheren Job: verbeamtet auf Lebenszeit – mein Einkommen war sicher. Ich hatte das nie im Kopf, dass ich von der Fotografie leben möchte, das war nicht der Plan. Das ist mir letztens nochmal klar geworden: ich fotografiere nicht des Geldes wegen. Das klingt natürlich komisch, weil ich damit mein Geld verdiene. Aber wenn man sich die Frage stellt: Womit würde ich meine Lebenszeit verbringen wollen unabhängig davon, ob ich damit Geld verdiene oder nicht? Was würde ich machen, wenn ich glücklich sein möchte mit dem, was ich
tue? Die Antwort darauf ist immer noch: Fotografie.

Schön. Wenn du sagst, es war nie dein Plan Fotografin zu werden: was war denn dein Plan?
Ich war mit 18, wie so viele Menschen, völlig überfordert, fragte mich: was machst du denn jetzt? Ich habe dann Rechtspflege an einer Fachhoch-schule studiert und in dem Beruf viele Jahre gearbeitet, aber es hat mich nicht erfüllt. Ich glaube, dass mir Büroarbeit von Montag bis Freitag nicht wirklich liegt. Ich möchte gern selber einteilen und entscheiden, was ich wann mache. Ich hab mich immer unwohler gefühlt in dem Beruf, den ich da hatte. Das war nicht meine Welt. Ich bin nie glücklich nach Hause gegangen, sondern es war so, dass ich tagsüber das Ende des Tages herbei gesehnt habe, damit ich nach Hause kann. Es kam mir immer absurder vor, sich den Großteil des Tages mit Dingen zu beschäftigen, die einen nicht glücklich machen. Ich hab den ganzen Tag auf etwas hingearbeitet, was abends kommt – aber abends kam auch nicht mehr soviel, weil ich so erschöpft war.

 

Rijko
Fotos: Grit Siwonia
Sunny

Ich glaube, das kennen leider total viele Leute. Umso interessanter finde ich zu wissen, wann also bei dir der Wendepunkt kam, an dem du gesagt hast: ich mach jetzt mein Hobby zum Beruf?
Das war tatsächlich auch ein schleichender Prozess, weil du dir total viele Gedanken machst: Was, wenn ich kein Geld verdiene? Ich hatte zum Beispiel nicht die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten und mir eine Selbständigkeit nebenbei aufzubauen. Das ging in meinen Beruf nicht. Das hätte mir den Start natürlich erleichtert. Immer wieder haben die Leute gesagt: Boah mach das doch mit der Selbständigkeit, die Fotos
sind so schön! Und ich immer: nein, da kann ich eh nicht von Leben, wie soll das gehen? Ich habe ein Jahr überlegt, ob ich den Antrag auf Entlassung aus dem Beamtenstatus stelle oder nicht. Denn Beamtin werden hätte ich nicht mehr können, ich war damals 39 Jahre und wäre nicht mehr reingekommen. Sicherlich hätte ich in einer Anwaltskanzlei anfangen können, als Angestellte im juristischen Bereich. Mir war aber klar, dass ich das nicht wollte. Gleichzeitig hat mir das natürlich eine Sicherheit gegeben: wenn was schief geht, kann ich schon irgendwo wieder anfangen, irgendeinen Job würde ich finden. Es kann eigentlich nicht schlimmer werden als das, was ich vorher hatte, das war der Ansatzpunkt.

Das heißt es war vor allem die Sicherheit, bei der du genau überlegt hast, ob du sie aufgibst.
Genau. Eine Sicherheit, die ich jetzt Null habe, aber dafür sehr viel Freude.

Warum war es dir trotzdem so wichtig diesen Weg zu gehen, obwohl du auch viel aufgegeben hast? Warum hast du gedacht: dafür muss ich jetzt hier losgehen und mich trauen?
Ich glaube, es war mein Glück und das Glück der anderen. Also was ich dadurch erreichen kann, dass ich das mache, was ich mache.

Du hast dir einen Traum erfüllt. Wovon träumst du jetzt?

Das ist eine interessante Frage, aber ich kann sie ganz schwer beantworten. Ich hatte nie wirklich Träume, auch keine Lebensziele. Es gibt Leute die sagen: ich muss eine Familie haben und Kinder
und an einen bestimmten Ort in den Urlaub. Sowas gibt es bei mir nicht. Ich weiß nicht, woran das liegt. Für mich ist schon wahnsinnig viel erreicht, wenn ich einen glücklichen Tag habe. Von mir aus darf das Glück immer bleiben. Das wäre mein Traum, dass das Glück einfach nicht aufhört.
Ich bin relativ wenig materiell unterwegs. Klar hab ich gern ein gutes gesundes Essen und bin gern in der Natur draußen, aber ich brauche nicht wahnsinnig viel zum Leben. Ich lebe jetzt hier draußen auf dem Land, hab die Hände gern in der Erde und Tiere um mich herum, wenn ich nicht
arbeite. Möglicherweise war das allerdings schon ein bisschen ein Traum, auf dem Land zu wohnen – der ist in Erfüllung gegangen. Also gab es vielleicht doch einen Traum! (lacht) Aber auch der ist aus der Not entstanden. Auch damals war es so, dass ich gesagt habe: ich halte das hier in Kreuzberg nicht mehr aus. Also immer die gleichen Situationen, die mich dann ins Glück befördert haben. Situationen, in denen ich gesagt habe: das hier kann es irgendwie nicht mehr sein.
Einen Fotografie-Traum habe ich auch nicht. Ich kann es nur immer wieder sagen, ich bin wirklich glücklich, wenn meine Kunden, die sich bislang vor der Kamera unwohl gefühlt haben, ein schönes Foto von sich sehen und glücklich sind – dafür fotografiere ich.

Schön! Und auch schön es immer wieder zu hören. Was würdest du anderen Menschen raten, die merken, dass ihr Herz sie in eine bestimmte Richtung zieht und die sich aber nicht trauen, dem zu folgen?
Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen, dass man es zumindest versuchen sollte. Aber es gibt nie eine Garantie, dass man damit erfolgreich ist. Ich glaube, das erste, was jeder für sich sortieren muss, aus seinem tiefsten Inneren heraus: warum mach ich das? Mach ich das um Geld zu verdienen oder mach ich das, weil ich glücklich bin? Das ist ein Riesenunterschied. Und dann kann ich nur sagen: der innere Konflikt hört nie auf. Wenn ich Monate habe, in denen es nicht so gut läuft, dann fang ich an, Sachen zu hinterfragen – und die Antworten auf diese Fragen finde ich immer bei mir.

Was hat dir noch geholfen?
Erfahrungsaustausch mit anderen Fotografen, vom Erfahrungsschatz anderer profitieren. Ich habe da mittlerweile wirklich schöne Bekanntschaften, mit denen es ein gegenseitiger Austausch und ein gegenseitiges Fördern ist. Aber ich würde nach wie vor allem die Frage empfehlen: warum will ich das machen? Und da muss man gnadenlos ehrlich mit sich sein.

Herzlichen Dank für das schöne Gespräch, liebe Grit!

Foto: Grit Siwonia

Über Grit Siwonia

Grit Siwonia möchte kleine und große Wunder einfangen und vermeintlich Unsichtbares sichtbar machen. Ob Hochzeit, Natur, Tiere, künstlerische- oder Food-Fotografie – alle und alles betrachtet sie mit einem liebevollen Blick. Weitere Informationen zu ihrer Arbeit als Fotografin findest du auf ihrer Webseite oder bei Instagram.

Kontakt

Du hast Fragen, Kritik, Anregungen? Dann schreib mir eine Nachricht!

Inhalte